Um Schönheit und wahre Liebe erfahren zu können, muss ich frei sein von Beurteilung, Ablehnung oder Zustimmung. Zu erreichen ist das durch einen schweigsamen ruhigen Geist.
Anfangs dachte ich, wenn ich das Denken ausschalte, den Geist ruhig halte, wie kann ich denn da Tätigkeiten ausüben? Nun, Stille im Kopf, das Denken vom Grübeln fernhalten, macht mich ja noch lange nicht handlungsunfähig. Das Denken kann sich zusammen mit dem Verstand trotzdem auf meine Aufgaben konzentrieren. Es kann sich vertiefen in Betrachtungen und Handlungen, die mein Herz mit Freude erfüllen, ohne diese in "warums" oder "erklärs" zu "zer"denken und damit Gefühle wie Enttäuschung, Ärger, Frust oder Traurigkeit zu produzieren.
Da mein Geist also sowohl Ängste erdenkt als auch Freude boykottiert und ich das sehr gerne ändern möchte, bin ich auf schamanische Trance-Reise gegangen und habe meine Spirits nach diesem mysteriösen ruhigen Geist befragt.
Die Reise begann damit, dass mir die Spirits in einer Metapher erst einmal die Eigenart des Denkens näher gebracht haben.
Die Eigenart des Denkens
Mein Krafttier führt mich in eine weiße getünchte, nebelige Landschaft. Der Schnee liegt kniehoch und es stellt sich als ganz schöne Plackerei heraus vorwärts zu stapfen. Während mein Krafttier und ich nebeneinander eine tiefe Spur durch das Weiß ziehen, entdecken wir einen Schneeleoparden, der leichtfüßig über die Schneedecke läuft. Wir wollen ihm folgen, doch er verschwindet im Nebel. Mir wird klar, dass mein Denken, mein Analysieren, wie der Irbis diese Leichtfüßigkeit zustande bringt, mich ihn aus den Augen verlieren lässt. Anstatt ebenfalls leichtfüßig zu sein, beschwert mein Denken mein ganzes Sein.
Der Schnee wird tiefer, je mehr ich grüble, bis ich eine Schaufel zur Hand nehmen muss. Die aufgeschaufelten Schneewände links und rechts von mir werden so hoch, dass ich von meinem Krafttier nur noch die hoch aufragende Schwanzspitze sehe.
Allmählich wird mir die Schufterei zu mühselig. Ich werfe die Schaufel beiseite, wechsle den Pfad und laufe hinter dem Krafttier her. Mir wird klar, dass mein Wunsch nach Transformation und die Beschäftigung mit spirituellen Themen mir mein Sein bereits erheblich erleichtert. Nach einer Weile lichtet sich auch der Nebel.
Abrupt bleibt mein Krafttier plötzlich stehen und streckt die Vorderpfote aus. Interessiert, was es mir zeigen möchte, stelle ich mich neben den Spirits, strecke meinen Arm aus und lege meine Hand über seine Pfote. Mit den Augen verfolge ich die Linie über die vereinten "Hände" nach vorn.
Da entdecke ich den Schneeleopard, der neben einer mannshohen, einschlussfreien Bergkristallspitze sitzt. Wir stapfen zu dem Irbis hin und bleiben vor dem Kristall stehen. Verzückt betrachte ich den kristallklaren Edelstein.
"So klar ist dein Geist, wenn du in Gelassenheit und Ruhe versunken, frei von jeder Beurteilung, die Welt betrachtest", sagt der Schneeleopard. Er führt mich über Schneepfade bis auf den Gipfel des Himalaya. Mit glänzenden Augen schweift mein Blick über die Weite und Schönheit der Natur, die vom Gipfel aus gesehen unter uns ausgebreitet liegt. Versunken in der reinen Betrachtung, schweigend, einfach nur schauend und lauschend, ist mein Kopf still, mein Herz gelassen, mein Denken frei von jedwedem grüblerischem Nebel. Kurz gesagt, mein Geist ist kristallklar wie der Bergkristall.
Nur zu schauen oder zu lauschen ist eines der schwierigsten Dinge im Leben. Nur ein Mensch, der mit vollkommener Selbsthingabe auf einen Baum, auf die Sterne oder auf das glitzernde Wasser eines Flusses schaut, weiß, was Schönheit ist. Wenn wir wirklich sehen, sind wir in einem Zustand der Liebe.
Jiddu Krishnamurti